Die 3 Phasen der Pseudoargumentation im postmodernen Treibsand

Insbesondere Esoteriker, Freunde Gewaltfreier Kommunikation, manche systemische Coaches und Menschen, die einfach gern nett sein möchten, haben sich oft mit dem Verlust objektiver Wahrheit im postmodernen Treibsand selbst verloren.

Während Einige ansprechbar bleiben und auf vernünftige Argumente noch reagieren können, gibt es Andere, für die auf der Suche nach Halt ihre eigenen Modellverwirrungen zum neuen ideologischen Anker werden.

Ich möchte kurz die 3 Phasen der daraufhin folgenden stereotypen Argumentation aufzeigen.

Wo bereits Hopfen und Malz verloren sind, hilft die argumentative sachliche Abwehr höchstens, um das Exempel zu statuieren. Aber gerade dort, wo Menschen erkannt haben, dass die Wahrheit in subjektivem Gewand daher kommt, finden wir eben oft auch besonders aufgeschlossene und kooperationsbereite Menschen, denen helfen kann, was wir ihnen dazu zu sagen haben.


Packen wir deshalb einfach mal den Teufel bei den Hörnern:

Phase 1 und Phase 2 können vertauscht ablaufen, aber wer bei einer von beiden bereits beginnt mit der nächsten zu argumentieren, wird unweigerlich auch Phase 3 durchspielen.


Phase 1: Grenzverletzung

Mit Wirklichkeitsemulation sind wir in eine emergente Ära eingetreten, was bedeutet, wir sind mit einer anderen Komplexität konfrontiert.

Die damit kommende Verwirrung führt Viele auf die Suche in Richtung ihrer eigenen Psyche. Spiritualität boomt, und sie treibt seltsame Blüten - wie die zu psychologisieren zum Beispiel.

Der Andere wird ohne Erlaubnis psychologisch abgeklopft, psychologische Motive werden unterstellt oder es wird Eigenverantwortung für die inneren Abläufe postuliert.

Beispiel: "Für Deine Gefühle bist allein Du verantwortlich" als grundsätzliche Abwehr gegen ein als emotional interpretiertes Argument, als wäre eine emotionale Abwehr grundsätzlich etwas Falsches oder Zeichen von Schwäche oder mangelnder "Erleuchtung".

Sachlich dazu: Die menschliche Psyche funktioniert als komplexes autopoietisches System. Es ist folglich unmöglich, für alle eigenen Gefühle Verantwortung zu übernehmen. Reflexion ist möglich, größere Verantwortungsübernahme ebenfalls. Das reicht aber nicht für die Generalisierung. Es kann auch kein Anderer darüber entscheiden, da nur Psyche darüber entscheidet, was sie wie prozessiert - und längst nicht alle dieser Entscheidungsmechanismen laufen bewusst ab oder lassen sich visibilisieren und damit reflektieren und bewusst ändern. Das Unbestimmte ist signifikanter Teil unserer Selbstorganisation und Komplexität.
Ferner liegt die Interpretation des Phänomens im Auge des Betrachters. Es gibt Reaktionen, die als emotional interpretiert, nicht aber gemeint waren - und umgekehrt. Ebenso gibt es emotionale Reaktionen, die von großer rationaler Klarheit begleitet werden und rationale Aussagen, hinter denen sich starke Emotionen befinden.

Moralisch dazu: Niemand hat außerhalb der Gesetzeslage das Recht dazu darüber zu entscheiden, wofür ein anderer verantwortlich zu zeichnen hat. Das gilt ganz besonders für die eigenen psychischen Prozesse. Auch hat jeder Mensch das Recht, emotional zu reagieren. Es handelt sich dabei nicht zwangsläufig um eine kognitive, moralische, spirituelle oder intellektuelle Schwäche - im Gegenteil: Viele sehr kluge Menschen reagieren beispielsweise auf Grenzverletzung mit gutem Grund intensiv emotional. Und selbst wenn es eine Schwäche wäre, wäre es Angelegenheit des Betreffenden, solange nicht aus gesetzlicher Perspektive damit Schaden Anderer verbunden ist.
Wird psychologisiert, dürfen wir dem Grenzüberschreiter erwidern, dass wir ihm nicht erlauben, zu versuchen mit schmutzigen Socken durch unsere Psyche zu laufen. Versucht er anschließend unsere Abwehr seiner Grenzüberschreitung abzuwerten, indem er uns für unsere Gefühle verantwortlich erklärt und damit seine Grenzüberschreitung relativiert und voll in unseren Verantwortungsbereich verlagert, dürfen wir uns auch dagegen zur Wehr setzen.


Auf die sachliche und moralische Abwehr folgt meist

Phase 2: Urteilsrelativierung/Treibsandargumentation

Wir erfahren dann vom Relativisten, dass unsere Argumentation unser eigenes Urteil sei und er selbst nicht urteilt. Wir hören außerdem, alle Meinungen seien gleichviel wert.

Oder wir hören, jedes Urteilen sei falsch.

Die Grenzverletzung wird als unser eigenes Erleben relativiert, womit Phase 1 wiederholt wird, denn auch dabei handelt es sich um eine Grenzverletzung, und Phase 2 aktiviert, indem unser Empfinden, Urteil, unsere Abwehr als relativ bezeichnet wird.

Implizit finden wir in Phase 1 und Phase 2 die passiv aggressive Variante des Spiels "Ich bin besser als Du": "Ich bleibe mit meinen Gefühlen bei mir, Du nicht!" "Ich urteile nicht, Du schon!" und somit:

Sachlich dazu: Die Verurteilung des Urteils ist ein Urteil.
Außerdem sind Urteile, Bewertungen, Wertsetzung usw. fundamental für menschliches Überleben und Teil unserer Selbstreferenz. Ohne Urteile würden wir zerfallen, zerbrechen, sterben. Wir wären ohne sie nicht überlebensfähig, weder Psyche noch Sozialsysteme/Gesellschaften könnten sich ohne sie zusammenhalten.
Viele Urteilsverurteiler können nicht zwischen Sachurteil, Verurteilung von Verhalten und Verurteilen von Menschen unterscheiden. Sie nehmen alles persönlich.
Nicht alle Meinungen sind inhaltlich oder formal gleichwertig. Wir haben Logik, rationale Argumentation ... erfunden, um unsere Entscheidungsfindungsprozesse (und damit unsere Urteilsprozesse) zu optimieren.

Moralisch dazu: Den Urteilenden grundsätzlich zu verurteilen entmachtet ihn jeder Möglichkeit sozial zu argumentieren, Position zu beziehen, sich zu rechtfertigen, zu verteidigen, sein Recht einzufordern Anderen nicht zu erlauben ihn zu missbrauchen und schlussendlich als mündiger Bürger zu handeln und sich für eine wehrhafte Demokratie einzusetzen. Der Urteilsverurteiler und Meinungsrelativist begibt sich im schlimmsten Fall in die Position des Willkürherrschers: Nur sein Urteil zählt, er entscheidet, wer zur guten Gesellschaft dazugehört und wer nicht.


Führen wir diese Argumente vor, landen wir spätestens hier bei:

Phase 3: Persönliches Aburteilen

Wir werden als "Rechthaber", "arrogant", "Besserwisser" beschimpft.
Uns wird vorgeworfen, dass wir sachlich bleiben.

Sachlich dazu: Jede Drohung oder Beschimpfung kommt aus einer Position der Schwäche. Da wir tatsächlich Recht mit unserer Argumentation haben, können wir das sachlich auf den Punkt bringen. Sachlich korrekt zu argumentieren, ist keine Besserwisserei im schlechten, sondern Besserwisserei im faktischen Sinn. Die sachlich korrekte Argumentation ist ein Beitrag zur Aufklärung.

Moralisch dazu: Indem von der Sachebene auf die Beziehungsebene überführt wird, wird versucht, uns entweder in die Herde zurückzutreiben oder aber uns als Außenseiter, ja Feind, zu isolieren. Es handelt sich um einen ideologischen Versuch. Es geht um Konditionierung.


Immer dann, wenn wir alle 3 Phasen beobachten können, haben wir es mit Ideologisierung zu tun. Unter dem Deckmantel eines vielleicht sogar seriösen Modells - wie dem der Gewaltfreien Kommunikation oder systemischer Arbeit - laufen Konditionierungsprogramme.

Die Funktion der Ideologie ist die Gleichschaltung, ihre Leistung Beruhigung von Sicherheitsängsten.

Wir müssen entscheiden, ob wir das Spiel mitspielen möchten, aber die Erfahrung als "arrogant" bewertet zu werden, kann nicht schaden, um sich mit höherer rationaler Gewissheit eben auch solcher Kritik auszusetzen und ihr Stand zu halten, ohne auf das Angebot, auf die Beziehungsebene zu gehen, einzugehen.

Die Isolation müssen wir dann allerdings aushalten.
Finden wir jene, die unserer Sachargumentation folgen können, wissen wir, dass wir mit ihnen Komplexität auf höheren Level organisieren können. Das ist dann ein wunderbares Geschenk. Bei allen anderen dürfen wir in dem Fall, dass sie damit ihren Lebensunterhalt verdienen, darauf verweisen, dass sie kein seriöses Angebot machen.

Wer Rationalität zugunsten von Emotionalität abwertet, dem dürfen wir antworten, dass er dann bitte seinen Computer ausschalten sollte, denn er hat ihn offensichtlich nicht verdient.

Wer ein hübsches kleines Gegenargument gegen den Arroganz-Vorwurf sucht:
Das altitalienische Wort arrogare bedeutet unter anderem auch "für sich in Anspruch nehmen". Wir nehmen das Recht auf rationale Argumentation, folgerichtiges Denken und empirisches Überprüfen für uns in Anspruch.

Wissen sollten wir vielleicht noch, dass die so Betroffenen oft gar nicht wissen, was sie tun und tatsächlich selbst dann, wenn wir es ihnen zeigen, nicht dazu in der Lage sind, das zu sehen. Dagegen können wir wenig machen, aber es ist im Grunde auch nur so lange unser Problem, wie wir uns darüber ärgern und versuchen, damit unsere Zeit zu verschwenden, anstatt uns auf diejenigen zu konzentrieren, mit denen Zusammenarbeit funktioniert. Was diejenigen angeht, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen, können wir die Branchen dazu anregen, Berufsethos zu diskutieren. Damit leisten wir einen konstruktiven Beitrag zu einer besseren Zukunft.


Literatur:

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Wirklichkeitsemulation - 3 Artikel
Im Gleichschritt Marsch - 3 Artikel
Komplexitätsmanagement - 1 Artikel