Fehlende polykontexturelle Kompetenz: Wenn der Change nicht passt ...

Gerade aus dem HR- und Berater-Bereich wird häufiger versucht, auch für Unternehmen (sozialen) Wandel anzustoßen, die dafür nicht bereit oder in der Form nicht geeignet sind. Das kann damit zu tun haben, dass in diesen Bereichen etwas gesehen wird, was das Unternehmen produkt- und leistungsbedingt nicht erkennen kann oder will, aber es hat auch häufiger damit zu tun, dass die HR- und Berater-Bereiche in Cliquenbildungsprozesse mit eigener, tendenziell psychologisch und/oder spirituell orientierter, Wirklichkeits- und Sprachorganisation involviert sind, die ihren Realitätsbezug verloren haben. Das lässt sich besonders im internationalen Vergleich erkennen, wo sich gerade in D-A-CH soft skills ohne empirischen Gehalt und ohne wissenschaftliche Integrität zu wirtschaftlich riskanten bis gefährlichen Orientierungsfunktionen für die damit verbundenen Menschen und Organisationen entwickeln.

Entsprechendes gilt übrigens für verlustaversives Sicherheitsdenken, das so in der Form beispielsweise in den Vereinigten Staaten nicht bekannt ist, wo mehr Mut zum Risiko neue Märkte öffnet, die in D-A-CH einfach nicht angefasst werden.

Das hat auch damit zu tun, dass Gesellschaften, in denen die Menschen arbeiten müssen, dazu tendieren große Märkte mit mittelmäßigen bis dürftigen Produkten herzustellen, die natürlich auch im soft-skill-Bereich innovationsfeindlich wirken, weil die Beteiligten dorthin gehen, wo der Markt schon läuft. Das könnte einer der Gründe sein, warum gerade die HR- und Berater-Bereiche von außergewöhnlich viel durchschnittlichem und lebensfremdem Wunschdenken durchtränkt sind: die persönliche und in der Clique bekräftigte Ideologie wirkt sich naturgemäß auf die damit verbundenen Märkte aus. Wahr wirkt, dem die Masse zustimmt.

Wer mit Menschen arbeitet, bekommt mit Sehnsüchten zu tun. Dort besteht immer das Risiko, dass sich die Utopie hinter einer konsensfähigen Vision verbirgt, der es an Realitätskraft gebricht. Sich in soziologischer Systemtheorie zu bilden, kann dabei helfen, dem entgegen zu wirken.

Wir würden einen Fehler machen, wenn wir das für ein Problem mit Dummheit oder gar Verantwortungslosigkeit handeln. Es ist einfach nur so, dass Menschen, die denken, oft denken, sie dächten gut, dass Menschen, die reden, vermuten, sie könnten das bereits vernünftig. Soft skills sind stark individualgebunden. Deshalb tendiert man dort auch dazu, sich eher mit dem zu identifizieren, woran man glaubt. Es ist leichter an der Maschine zu überprüfen, was man falsch macht als an den eigenen Mensch- und Zukunftsvisionen.

Mit FORMlogik lassen sich allerdings Glaubenssätze über gutes Denken und Kommunizieren polykontextural auf den Prüfstand stellen und damit polykontexturelle Kompetenz von soft skills trainieren. (Ich unterscheide "polykontextural" und "polykontexturell" vergleichbar "emotional" und "emotionell". "Polykontexturell" bezieht sich auf die Kompetenz und nicht allein auf ihre Anwendungen.)

Eine solche Kompetenz bedeutet mindestens Komplexitätsmanagementstufe 3 zu erlangen, unterschiedliche Rollen einnehmen zu können und vor allem, Denken und Kommunizieren in unterschiedlichen Kontexten zu untersuchen und miteinander in Verbindung zu bringen. Wer dann Systemgrenzen respektiert und von außen nach innen arbeitet, wird nach und nach lernen, sich auch dort zu objektivieren, wo persönliche Weltbild-Vorlieben sonst zu oft dazu führen den Blick zu trüben.

FORMenanalyse fragt zunächst nicht nach Inhalten, sondern wir schauen hier zuerst auf die FORM von Gedankengebäude und Kommunikation. Damit untersuchen wir die FORMale Organisation von Inhalt und Kontext in ihren jeweiligen Kontexten und überprüfen an Computeremulationen, ob unsere Analyse mit dem übereinstimmt, was wir vor Ort sehen.

Solche Analysen funktionieren wie andere wissenschaftstheoretische Methoden: Das bedeutet, wir untersuchen zunächst einmal uns selbst. Was an der Maschine leicht zu überprüfen ist, nämlich ob der Handwerker gut arbeitet und ob die Maschine gut funktioniert, müssen wir auf soft skills übertragen. Polykontexturelle Kompetenz ist gerade dort besonders gefragt. Konzentration auf die Ideologie verhindert das. Sie führt eng, verliert zunehmend sichtbar an Binnendifferenzierung und führt so zu Realitätsverlust - mit entsprechenden Langzeitschäden für System und Umwelt.

Der Vorteil wissenschaftliche Methoden wie FORMlogik einzusetzen, liegt darin, dass wir uns nicht lange mit Kritik an der Ideologie aufhalten müssen. Wo die Betreffenden daran interessiert sind sich selbst zu überprüfen, führt die Technik augenblicklich von den ideologischen Impulsen weg. Solange dieser Kurs gehalten wird, steigen polykontexturelle Kompetenz und Komplexitätsmanagementfähigkeiten weiter an.

Ein bisschen ein Problem kann natürlich der Kunde werden, der mit den gleichen Schwierigkeiten zu tun hat: Konfliktaversion, confirmation bias, Verlustängste. Doch das lässt sich mit gutem Willen und einer ordentlichen Portion sozialer und emotionaler Kompetenz ausgleichen. Auch dabei kann FORMlogik helfen, da sie ermöglicht, die eigene Interaktion mit dem Kunden abzubilden und gemeinschaftlich reflektiert zu orientieren.

Das bequeme "Der Kunde/das Top-Management will das aber nicht!" sollten wir nicht gelten lassen. Es ist einerseits ein bisschen überheblich zu denken, man könne etwas besser, nur der Kunde sei zu dumm, wenn es um soft skills geht: Da können wir Mr. Holland (Mr. Holland's Opus, Film, 1995) folgen und sagen: "Dann haben Sie sich einfach noch nicht genug anstrengt!". Und andererseits sind Verlustängste und Konfliktaversionen alles andere als dumm und brauchen eben diese polykontexturelle Kompetenz und höheres Komplexitätsmanagement, um damit umgehen zu können. Der Berater hat hier einen Bildungsauftrag, dem er folgen sollte.

Auch die häufig gehörte Verwunderung darüber, dass "die Kunden die einfachsten Orientierungsfunktionen nicht mehr ausfüllen können" können wir uns schenken: Wirklichkeitsemulation macht vor niemandem halt, und dieselben Mechanismen, die Berater blind machen wirken in den Unternehmen. Insofern dürfen Berater ihre Erkenntnisse dergestalt ernst nehmen, dass sie sie polykontextural untersuchen und daraus lernen, wie die (und ihre eigenen) FORMen in der Kommunikationsorganisation der Unternehmung wirken und darüber ihren Kunden zeigen, wie sie durch einfache Korrekturen der FORM bessere Kommikations- und (Konflikt)-Organisationsresultate erzielen.

Die von Gotthard Günther angedachte Polykontexturalität wird mit FORMlogik erfüllt - jetzt kommt es auf die kognitiven Qualitäten von Berater und Change-Maker an, dass sie sich in ihren FORMenanalysen auch reflektieren. Wer denkt, er kann auf die damit kommende Präzision und Horizonterweiterung verzichten, der sei daran erinnert, dass höheres Komplexitätsmanagement genau das verlangt und dass mit Wortmodellen allein Experiment und Überprüfungsmöglichkeiten fehlen. Insofern kann finanzieller Erfolg lange einfach nur dadurch bestehen bleiben, dass die eigene Präsentationskraft sozial wirkt, nicht aber empirisch und folgerichtig aufgesetzte Modelle und Techniken. Diese Verwechslung sehen wir überall da, wo Menschen organisieren und keine hard skills betroffen sind. Der Kaiser hat nichts an, aber auf das kleine Mädchen hört niemand.

FORMlogik ändert das: Wer lernt damit kompetent umzugehen, bekommt ein viel schärferes Auge für funktionale Systemanalyse. Das ist nicht immer bequem, aber das sind soft skill Kompetenzen selten, wenn sie auf sozial wirksame Glaubenssätze stoßen. Schlussendlich kommt es auf wissenschaftliche Integrität an: sich dort zu ändern, wo man falsifiziert wurde. Die gute Nachricht: mit polykontextureller Kompetenz steigt wissenschaftliche Integrität gleich mit, und wer einmal auf der Rutsche ist, der hat nach einer Weile auch Spaß daran.

Nachtrag:
Ein schönes Beispiel für fehlende polykontexturelle Kompetenz in einigen Teilen der Coaching-, HR- und Beraterbranche kam gerade von René Leupold herein:
Wenn ein Agiler Spezialist einer Person erklärt - die bis vor kurzem jahrelang bei einen humanitären Minenräum-Kommando in Afrika im Einsatz war - dass sie auch mal die Komfort-Zone für eine Veränderung verlassen muss.

Links:
https://uformiform.info
https://formwelt.net
Seminare:
https://formwelten-institut.com
Artikel:
https://www.carl-auer.de/magazin/systemzeit